"VON BULGAKOW BIS HOELDERLIN", einige Fragen an Wjatscheslaw Kuprijanow

 

 

 

Bitte stellen Sie sich dem Leser mit einigen biographischen Daten vor:

 

Also- geb. 1939 in Novosibirsk. Nach dem Abitur 1 Jahr als Lastträger am Bau gearbeitet, dann 2 Jahre Studium in der Kriegsmarine-Hochschule in Leningrad (1958-1960), anschließend Studium der Mathematik und Sprachwissenschaft in Moskau (Linguistische Universität); eine Zeit als Pfleger in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet. Das war eine sehr gute Erfahrung für das Schreiben und für das Leben. 

 

Seit 1967 freischaffendes Mitglied des Russischen (1976) und des Serbischen (1999) Schriftstellerverbände, Mitglied des russischen und internationalen PEN (2004).

 

Einige Veröffentlichungen in Russland (Deutsche Titel vom Autor):

 

"Von der ersten Person", Gedichte, 1981; "Es geht das Leben", Gedichte, 1982; "Hausaufgaben", 1986; "Echo", Gedichte, 1988, 2. Aufl.1989; "Gedichte", 1994; “Lassen sie mich ausreden”, Vers libres, Verlag Moskauer Schriftellerverband, 2002; Zeitfernrohr, Alkyon Verlag, 2003; Platz 1 in der SWR-Bestenliste (November 2003)

 

“Die besseren Zeiten”, Ausgewählte Gedichte und Übersetzungen, Moskau, “Junge Garde”, 2003. „Ode an die Zeit“, Gedichte, 2009, „Nichts Menschliches“, Gedichte, 2013 («Dichter des Jahres 2012»); "Widersprüche", 2019.

 

Ich bin verheiratet mit Natalia Rumartchuk (Siehe Foto), sie ist auch Mitglied des Russischen Schriftstellerverbandes. Sie hat ein Buch über unser Leben mit dem Titel "Wozu hast Du dich in einen Dichter verliebt?" herausgebracht.

 

Der Mensch Kuprijanow: Können Sie mir noch ein paar Sätze zu ihrer Jugend in Novosibirsk erzählen?

 

In der Schule wurde ich oft gehänselt. Und dann - mit 14 Jahren habe ich angefangen Sport zu treiben: Ringkampf. Nach der Schule und ein Jahr Arbeitserfahrung bin ich tatsächlich zu der Kriegsmarine-Hochschule in Leningrad gekommen, wo ich schnell verstanden habe, dass ich kein Seemann und kein Marine-Offizier werden will.

 

Meine beste sportliche Leistung in dieser Zeit war nur diese: Im Jahre 1959 bin ich Champion von allen Kriegsmarineschulen Leningrads im Leichtgewicht geworden.

 

Sonst war ich undiszipliniert und glücklicherweise wurde ich von der Kriegsmarine-Hochschule verwiesen.

 

Dann bin ich zurück nach Nowosibirsk gefahren, habe mein Bürgerpass wiedererhalten und flog als blinder Passagier mit dem TU-104 nach Moskau.

 

Meine Kameraden dort waren Ingenieure auf dem Flugplatz, sie haben mir geholfen "Arbeit" in der Abteilung für „Sauerstoffballons“ zu finden. Das war im September 1960.

 

In Moskau habe ich erfahren, dass ich keinen Eingang zur journalistischen Fakultät erhalten würde. Der Grund - das Gutachten von meinem Kommadeur aus der Kriegsmarine, wo nur ein paar Worte positiv waren: "moralisch beständig, physisch gesund."

Man hat mir im Sekretariat der MGU mitgeteilt: "Wir sind die ideologische Institution, solche Taugennichts brauchen wir nicht!"

Kurz und gut (so kurz war das auch nicht), habe ich alle meine Papiere zurückbekommen und im Sekretariat des Fremdsprachen-Instituts eingereicht.

Wer sage jetzt - in der Sowjetarmee gab es keine Demokratie?

Das andere Gutachten sollte von unserem „Komsomol-Boss“ geschrieben werden. Der hat allerdings angeordnet: Jeder schreibe sein Gutachten selbst!

Und mit dem „Meisterwerk von eigener Hand“ und von dem Boss unterzeichnet bin im Institut für Fremdsprachen aufgenommen und nach einigen Jahren fast zufällig ein Germanist geworden...

 

Welchen Beruf hatten sich ihre Eltern für Sie eigentlich vorgestellt?

 

Die waren Ärzte und wollten dass auch ich ein Arzt werde.

Mein Vater - der Militär-Arzt - ist an der Front 1942 gefallen. Mein späterer Stiefvater war auch Arzt.  

 

Schauen wir nach vorn: Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

 

In der Kriegsmarine-Hochschule in Leningrad habe ich das erste (und das letzte große!) Lyrik geschrieben, eine Satire auf das Leben eines jungen Soldaten – etwa 1959/60. Nach 35 Jahren war das Poem endlich publiziert. Also am Anfang war die Satire. Und so bleibt es bis heute, denn das Leben scheint mir absurd und surrealistisch zu sein.

 

Wer waren Ihre literarischen Vorbilder?

 

Gogol, Saltykov-Schtschedrin, Alexej Konstantinivitsch Tolstoj, Andrey Platonow, Michail Bulgakow. Später - Wladimir Nabokow, Daniik Charms, Franz Kafka, Sigismund Krzhizhanowskij. Und Friedrich Hoelderlin.

 

Was fasziniert Sie an der Lyrik?

 

Ich bin zu nüchtern um fasziniert zu sein.

In der Jugend ist Lyrik ein Zeichen der Pubertät und auch der geistigen Entwicklung. Und die Natur zwingt... möglicherweise, meine späteren Gedichte sind eher episch als lyrisch. Das ist ein Zeichen der rhythmischen Lyrik.

 

Nennen Sie mir doch ein paar ihrer Lieblingsbücher und WARUM?

 

"Gullivers Reisen" von Swift.

Das ist Vorbild für meine eigene Prosa. Ich schätze die Phantasie und bin gern auf reisen.

"Das Buch der Bilder", von Rainer Maria Rilke, damit habe ich „nachzudichten“ begonnen. "Theorie der Rethorik", ein Sachbuch von Prof. Dr. J.W.Rozhdestwenskij (1926 - 1999). Der war mein Meister-Lehrer und Freund, und das Buch lese von Zeit zu Zeit, um das Wort und sein Gewicht zu verstehen.

"Tagebücher", von Michail Prischwin, das ist sein Zeugnis der russischen Geschichte.

 

Lieblingslyrik?

 

Russische Klassik von Puschkin bis Tjutschew und Block, Avantgarde Versuche von Welimir Khlebnikow und früheren Zabolotzskij. Johannes Bobrowskij, Hans Magnus Enzensberger, Erich Fried. Walt Wittman. Miodrag Pawlowic, Zbigniew Herbert. Wladimir Buritsch.

 

Können Sie beschreiben, wie Sie an eine ihrer eigenen Geschichten herangehen? (Ist sie in Ihrem Kopf bereits fertig oder entwickelt sie sich während des Schreibens?)

 

Das entwickelt sich während des Schreibens.

Aber nicht immer ohne Planung.

Für mein Erstling in Prosa - "Das feuchte Manuskript" (Mitte 70-e geschrieben, in diesem Jahr erscheint das zum ersten Mal auf Russisch!) hatte ich damals meine Gedichte als skurrile Inschrift im Voraus gemeint und als Prosatext niedergeschrieben.)

Aber, das andere Beispiel, mein Roman "Der Schuh des Empedokles", das ist erst im Laufe der Zeit und langsam gewachsen, und nach und nach kam immer etwas zu.

Für mein "Muster auf Bambusmatten" war die Lektüre von frühen chinesischen Geschichten wichtig, nach der Empfehlung von Prof. Dr. Rozhdestwenskij, eine Art des "chinesischen" Humors...

 

Eine allgemeine Frage: Für welche Dinge in ihrem Leben sind sie sehr dankbar? 

 

Dass ich im Fremdsprachen-Institut den Prof. J.W. Rozhdestwenskij kennengelernt habe, den grossen Philologen, der mein Meister-Lehrer und der später mein dankbarster Leser geworden ist.

 

Warum schreiben Sie eigentlich? Was bedeutet das für Sie?

 

Das ist mein Sinn des Lebens und zum Ruhm der russischen Sprache.

 

Auf was mochten Sie in ihrem Leben nicht verzichten (wollen)?

 

Auf meine Freiheit - als Schriftsteller und als Mensch!

 

Zum Schluss - gibt es noch Projekte die sie realisieren möchten?

 
Ich schreibe und übersetze weiter… so lange ich kann!

 

Ich danke für das Gespräch - das Interview wurde via Mail geführt - anlässlich der Druck- & eBookausgabe von DAS WIRBELN DER GROßEN WELT - das grosse Kuprijanow Lesebuch.

 

 

 

 

c, Interview 2021 by Edition Bärenklau

 

 

 

 

 

 

 

Wjatscheslaw Kuprijanow - c, by Autor und Edition Bärenklau, 2021

Der Autor mit seiner FrauNatalia Rumartchuk auf dem Standesamt - c, by Autor & Edition Bärenklau, 2021